Konzept zur tiergestützten Pädagogik auf einer Husky-Ranch

Unsere Einrichtung der stationären Kinder- und Jugendhilfe St. Bonifatius bietet ein zu Hause für Kinder und Jugendliche mit Verhaltensauffälligkeiten, psychischen Krankheiten und Entwicklungsstörungen. Die Vorgeschichten der jugendlichen Bewohner sind häufig von traumatischen Erlebnissen, deprivierenden Bedingungen des Aufwachsens und Beziehungsabbrüchen gekennzeichnet. Das Erlernen eines respektvollen Miteinanders war den meisten Bewohnern in der Vergangenheit  nicht möglich. Das Vertrauen in Erwachsene ist empfindlich gestört. Diese Voraussetzungen erschweren die persönliche, seelische und schulische Entwicklung der Jugendlichen massiv. Die Folgen sind depressive, selbstverletzende, aggressive und delinquente Verhaltensweisen.

In dem ganzheitlichen heilpädagogischen Konzept in unserer Einrichtung legen wir Wert auf zahlreiche positive Erfahrungen und eine sinnvolle Freizeitgestaltung.

Tiergestützte Pädagogik im Allgemeinen bietet einen innovativen und neuartigen Weg, durch die Tiere gemeinsame Erlebnisse mit Erwachsenen zu schaffen, neues Vertrauen aufzubauen und die Selbstwirksamkeit durch die Aktivität zu steigern. Der Wert von Tieren im körperlichen und seelischen Heilungsprozess wurde in den letzten Jahren zunehmend erforscht und auch belegt (zum Beispiel Beetz et al., 2001).

Was wird konkret angeboten?

In St. Bonifatius gibt es für Jugendliche die Möglichkeit, im Rahmen der Freizeitgestaltung an einem Husky-Projekt teilzunehmen. Da Huskys eine hohe Faszination auf viele Menschen ausüben und die Beschäftigung mit den Tieren von den Jugendlichen als sehr attraktiv wahrgenommen wird, gelingt es leicht, zu dieser Freizeitbeschäftigung zu motivieren. Eine kleine Gruppe von Jugendlichen kann dabei gemeinsam mit einem Betreuer auf einer Husky-Ranch die Tiere streicheln, mit ihnen spielen und mit den Hunden als Zugtiere Ausflüge unternehmen. Dabei steht zu Beginn die Kontaktaufnahme mit dem Husky-Rudel im Vordergrund. Die Hunde wollen gestreichelt und bespielt werden. Auf dem großzügigen Gelände kann mit den Tieren getobt und gekuschelt werden. Der Besitzer leitet dabei gerne zum Beobachten der Tiere an und berichtet über seine Erfahrungen mit den Hunden. Vor Ort sind als Fahrgeräte eine Kutsche für mehrere Personen sowie kleinere Fahrgeräte wie Gespann-Dreiräder vorhanden. Die Hunde warten schon sehnsüchtig darauf, dass die Fahrt beginnen kann.

Je nach Größe des Fahrgerätes werden unterschiedlich viele Hunde eingespannt. Bei den kleineren Fahrgeräten wie dem Dreirad ist Bewegung, mitlaufen und aufspringen gefordert. An der Elbe kann eine kleine Pause mit Tee und Keksen gemacht werden und anschließend geht es zurück auf das Gelände. Hier werden die Tiere ausgespannt, versorgt und noch einmal gestreichelt und gelobt.

Was sind dabei unsere Ziele?

Im Vordergrund stehen die Wiederherstellung neuer Lebensenergie und Selbstwirksamkeit durch den Kontakt mit den Tieren, die Verbesserung des Körpergefühls durch Bewegung an der frischen Luft, das Erleben von Abenteuer für impulsive Jugendliche, reale Erfahrungen im Umgang mit Natur und Tieren und nicht zuletzt der Vertrauensaufbau in Erwachsene durch gemeinsame Erlebnisse. Die Hunde fungieren hierbei als „soziale Katalysatoren“. Ein weiteres Ziel ist Entspannung und Stressreduktion durch das Kuscheln mit den Hunden und die Bewegung an der frischen Luft. Nachweislich steigen die physiologischen Indikatoren von Stress in Anwesenheit von Tieren weniger an. Dies gilt vor allem für Personen mit Bindungsproblematiken (Beetz et al., 2001). Nicht zuletzt führt die Erfahrung, diese ungewöhnliche Aktivität durchzuführen und den Hundewagen zu steuern, zu einem starken Gefühl von Selbstwirksamkeit.

Was erleben die Jugendlichen?

Die Hunde vermitteln den Jugendlichen das Gefühl von Nähe und Akzeptanz unabhängig von sozialem Hintergrund, Fähigkeiten oder Aussehen. Gerade diese Akzeptanz haben viele unserer Bewohner nicht erfahren. Im Kontakt mit den Hunden besteht die Möglichkeit, Akzeptanz zu erfahren und den Selbstwert zu steigern. Gleichzeitig lernen Jugendliche, den Hund als eigenes Lebewesen mit seinen eigenen Bedürfnissen zu verstehen. Wenn ein Tier beispielsweise nicht mehr gestreichelt werden möchte, kommuniziert es dies unmittelbar, indem es sich umdreht und weggeht. Die Erfahrungen, welche die Jugendlichen im Verlaufe der Zeit mit den Tieren machen, ermöglichen es ihnen, die Eigenarten der Tiere zu akzeptieren und zu erkennen, wie unterschiedlich die einzelnen Hunde eines Rudels sind. Diese Beobachtungen führen zu einer differenzierteren Wahrnehmung des Verhaltens der unterschiedlichen Lebewesen und zu Rücksichtnahme hierauf.

Das Verhalten der Jugendlichen führt beim Hund zu unmittelbaren, authentischen Reaktionen (z. B. lautes Schreien führt zu einer Schreckreaktion beim Hund). Diese direkte Spiegelung sensibilisiert für das eigene Verhalten.

Die Hunde haben einen ausgeprägten Spieltrieb. Die Bewegung mit dem Hund fördert die motorischen Fertigkeiten und regt zu körperlicher Aktivität an.

Der Kontakt mit Hunden fördert das Verständnis für nonverbale Kommunikation und stellt immer wieder Anforderungen an die Jugendliche, dem Hund ganz eindeutig zu kommunizieren, was er tun soll.

Die emotionale Verbindung zu den Hunden führt zu eigenmotiviertem Wissenserwerb über die Tiere, deren Verhalten und Bedürfnisse sowie die Versorgung der Hunde. Zusätzlich lernen die Jugendlichen Einiges über die Möglichkeiten der Fortbewegung mit den Hunden.

Eine gelungene Fahrt mit den Hunden wird als Erfolgserlebnis mit Abenteuercharakter wahrgenommen. Diese Kompetenzerfahrung führt zu neuer Motivation und Selbstwirksamkeit.

Literaturangaben:

Beetz, A. Kotraschal, K., Turner, D., Hediger, K., Uvnäs-Moberg, K., & Julius, H. (2011). The Effect of Social Support by a Dog in Insecurely Attached Children: An Exploratory Study. Anthrozoös, 24, 349-368.

http://www.tiere-begleiten-leben.de/fileadmin/medien/tiere-begleiten-leben/Forschung/Forschungbericht_4_Wirkmechanismend_Tgt.pdf

Vanek-Gullner, Andrea: Tiergestützte Heilpädagogik – ein individualpsychologischer Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität verhaltensauffälliger Kinder. In: Olbrich, Prof. Dr. Erhard/ Otterstedt, Dr. Carola (Hrsg.): Menschen brauchen Tiere – Grundlagen und Praxis der tiergestützten Pädagogik und Therapie. Stuttgart: Franckh-Kosmos Verlag 2003)

 

Lüneburg, 13.02.2015 Dipl.-Psych. Beate Recke

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