Fachliche Ausrichtung der Angebote
Heilpädagogische Ansätze begründen die fachliche Ausrichtung unserer Arbeit; eklektisch ergänzen systemische und verhaltenstherapeutische Theorien und Methoden.
Mit „Heil“ (vom griechischen „holos“ „ganz“) in Heilpädagogik ist nicht heilen im medizinischen Sinne gemeint, also die Wiederherstellung eines gesunden, beeinträchtigungsfreien Zustandes, sondern eine ganzheitliche Betrachtung, Behandlung und Integration des Menschen. Heilpädagogik ist auch definiert aufgrund der Betonung der Grundhaltungen, aus denen sich die entsprechenden Arbeitsweisen ableiten lassen. Die zentralen Grundhaltungen in der Heilpädagogik sind: 1. Erst verstehen, dann erziehen, 2. Nicht gegen den Fehler, sondern für das Fehlende und 3. Nicht nur das Kind, sondern auch seine Umgebung ist zu erziehen. Diesen Grundhaltungen entsprechen die Arbeitsweisen der Anamnese und Diagnostik [Beobachtung und Test], der Anwendung heilpädagogischer Methoden und der Eltern-, Angehörigen- und Umfeldarbeit.
Daher steht aus unserem heilpädagogischen Blickwinkel der ganze Mensch mit seinen Fähigkeiten, Ressourcen und seinem Umfeld im Fokus und nicht alleine die Auffälligkeiten, erschwerten Bedingungen sowie deren Behebung. Somit heißt Heilpädagogik für uns die Gesamtförderung der Persönlichkeit und nicht die Beseitigung einzelner Defizite.
Heilpädagogik ist eine wissenschaftliche Disziplin der Pädagogik; die Übergänge und Beziehungen sind fließend. Vielfach wird definiert, dass Heilpädagogik sich mit der Theorie und Praxis von Menschen beschäftigt, deren Entwicklung unter erschwerten Bedingungen verläuft Insofern zählen seelische Behinderungen, Verhaltensauffälligkeiten und psychische Störungen zu den klassischen heilpädagogischen Aufgabenfeldern [vgl. 2.4]. Sie ist zudem eine eklektische Disziplin.
Unser heilpädagogisches Handeln zielt darauf ab, Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen zu unterstützen und ihnen die Teilhabe an unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Im Mittelpunkt unseres heilpädagogischen Handelns steht dabei immer die Beziehung zwischen Betroffenem/Betroffener und Erzieher*in. Eine gute Beziehung ist die Voraussetzung für die Entwicklung und Erweiterung von Kompetenzen. Ziel unseres heilpädagogischen Handelns ist es, die Fähigkeit des Klienten zu fördern, um seine Ich-Kompetenz (gute Beziehung zu sich selbst), seine Sozial-Kompetenz (gute Beziehung zu anderen Personen) und seine Sach-Kompetenz zu stärken. Hierzu steht eine Vielzahl eklektischer heilpädagogischer Methoden zur Verfügung.
Aufgrund der grundsätzlichen Achtung der elterlichen Verantwortung ist es unsere Aufgabe, alles zu tun, um die Beziehung der Eltern zu ihrem Kind zu verbessern und so die Eltern möglichst wieder zu befähigen, selbst für ihr Kind zu sorgen. Wir haben vielfach erlebt, dass die frühen Beziehungsinhalte und Beziehungsqualitäten unsere Bewohner*innen intensiv beeinflussen. Für sie bleiben auch während des Aufenthaltes in unserem Haus ihre Bezugspersonen trotz räumlicher Abwesenheit präsent und wirksam. UnsereBewohner*innen beschäftigen sich viel mit ihrem ‘Zuhause’ und bauen teilweise in der Phantasie ein Traumbild von ihrer Familie auf. Insofern ist gerade auch die gestaltete Beziehung zu ihren Familien für die Kinder hilfreich, sich von ihren ‘Heile-Welt / Heile-Familien Phantasien’ zu lösen und sich stärker auf Realitäten in Einrichtung und Familie einzulassen. Nach unserem Verständnis von Elternarbeit brauchen unsere Jugendlichen die Erlaubnis ihrer real anwesenden Eltern, um die Trennung vornehmen zu können.
Wir gehen davon aus, dass Verhaltensauffälligkeiten und Störungen nicht allein ursächlich in der Person des jungen Menschen begründet, sondern im gesamten personalen Kontext des Kindes zu sehen sind. Entstehung, Aufrechterhaltung und Reduktion sind multikausal im familiären, systemischen Kontext zu interpretieren. Damit wird zugleich die Dualität kindlicher Verhaltensweisen im Signal- und Kanalcharakter deutlich: Einerseits signalisiert das Kind deutlich und unübersehbar für seine soziale Umgebung die Existenz relevanter Probleme innerhalb des familiären Systems; andererseits ist dies häufig auch die einzige Möglichkeit für das Kind, seine Situation ertragen zu können, indem es sich auf diese Weise abreagiert.
Eine ausreichende psychosoziale Stabilität der betroffenen Jugendlichen stellt das Fundament für alle weiteren positiven Entwicklungen dar. Um die angestrebte Stabilität zu erreichen, wird auf folgende Bedürfnisse der Bewohner*innen eingegangen:
- Bedürfnis nach beständiger Beziehung
- Beziehung und Bezugsbetreuung
- Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit und Sicherheit
- Gebot des Gewaltverzichts
- Bedürfnis nach individuellen Erfahrungen
- Vermittlung von Alltagserfolgen
- Bedürfnis nach entwicklungsgerechter Erfahrung
- Schutz vor Unter- und Überforderung
- Bedürfnis nach Grenzen und Struktur
- Verlässliche Tagesstruktur und Vermittlung sozialer Normen
- Bedürfnis nach stabilen und unterstützenden Gemeinschaften
Im Kontakt zu den Bewohner*innen werden Interventionen auf der Verhaltensebene, den kognitiv-emotionalen Vorgängen und den Sozialbeziehungen besondere Beachtung geschenkt.
Auf der Verhaltensebene:
- Positive Verstärkung, ggf. Verstärkerpläne
- Bewusstes Loben
- Grenzen setzen
- Beachtung von individuellen Stärken und Entwicklungen
Auf der kognitiv-emotionalen Ebene:
- Aktives Zuhören
- Metakommunikation, insbesondere bei Konflikten
- Empathische Begleitung bei traumatischen Erlebnissen
- Kognitives Modellieren zur Einübung von Aufmerksamkeit und Selbstkontrolle
- Besprechung persönlicher Anliegen, wie z. B. Zukunftsperspektive, Selbstwert, Selbstständigkeit
Auf der Ebene der sozialen Beziehungen:
- Biographiearbeit
- Bewusste positive Zuwendung durch den/die Bezugserzieher*in
- Vermittlung von überschaubaren Regeln
- Vermeidung unbewusster Abwertungen und Kränkungen
- Reflexion von Konflikten
- Anregung interessanter Aktivitäten
Die drei verschiedenen Ebenen werden gleichermaßen beachtet und stehen interaktiv zueinander.